03 Liberales Bürgertum als nationale Identität
In Deutschland ist mit Liberal-Konservativismus keine an eine Epoche gebundene bestimmte Tradition verbunden, vielmehr die Werte der bürgerlichen Mitte. Und das Bürgertum ist mit der Zeit immer liberaler geworden, was sich auch im Konservativismus niedergeschlagen hat. Es umfasst die Partikularität geschichtlicher Gemeinschaften, die sich als Bürger verstehen. Darum stiftet das Bürgertum den Zusammenhalt der Gesellschaft. Bürgertum verbindet, weil es von einem Sinn für diese Gemeinschaft geprägt ist. Und es besitzt für Deutschland auch nationale Identifikationskraft. Für die „verspätete Nation“ spielt Nationalstaatlichkeit selbst keine besondere Rolle. Technikaffinität, Exportweltmeister und Kosmopolitismus sind auf die Deutsche Hanse oder das unabhängige Zunftwesen zurückzuführen und schließen eine Ablehnung zu großer zentralstaatlicher Macht ein.
Das Verständnis von Staat und Gesellschaft ist durch das Selbstbewusstsein des Bürgertums geprägt. Bürgerliche Tugenden wie Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und gegenseitiger Respekt sind Antriebe, sich auch um die Gemeinschaft verdient zu machen. Auch Patriotismus liegt in diesem Selbstverständnis und bedeutet hier die politische Vereinigung der Bürger, die Bejahung des eigenen Bürgertums.

Der Staat einer Bürgergesellschaft ist ein Staat von Freien und Gleichen. Individualität und Gemeinschaft sind miteinander gleichberechtigt verbunden. Soziale Rollen und Konventionen schaffen in der modernen Gesellschaft Distanz und damit persönliche Freiheit. Der zivilisatorisch-technische Fortschritt wird begrüßt. Bürgerliche Werte stiften aber gleichzeitig Gemeinschaftsbindung. Wirtschaftlicher Erfolg, familiäre Geborgenheit, religiöse Orientierung und kulturelle Heimat stimmen in dieser Tradition mit dem gelingenden Leben überein.